24
Juni

“Der Schlüsselfaktor ist die Sprache”

Herr Quester (Qualitätsmanager bei Alfa Personnel Care GmbH) ist als pädagogischer Leiter und Coach im Rahmen des BRIDGE-Projekts für die care pioneers GmbH tätig. Seit 2008 hat er verschiedene Funktionen sowohl als Coach (Prüfungs- und Bewerbungscoachings) als auch als Lehrbeauftragter an der Charité inne.

In diesem Zusammenhang konnte er bereits ca. 800 zugewanderte Ärzt:innnen weiterbilden, coachen und auf die Fachsprach- und Kenntnisprüfung vorbereiten. 2013 ließ er sich zum Systemischen Coachausbilden und durch den Deutschen Bundesverband Coaching e.V. (DBVC) zertifizieren. Die erworbenen Kompetenzen zeichnen ihn besonders für die Tätigkeiten mit zugewanderten Ärzt:innen aus.

Herr Quester, dass Sie eine Bereicherung für das Projekt BRIDGE sind, muss nicht weiter erklärt werden. Doch bitte bringen Sie uns doch einmal näher, was Sie konkret bei Ihrer Arbeit machen.

Ich verfolge, beurteile und steuere nach besten Möglichkeiten den Lernfortschritt der Trainees in supervisorischer Funktion (da die Schulungen durch Deutsch4docs durchgeführt wird).

Ich begleite und unterstütze die berufliche Integration der Trainees an den Praxen und stehe mit meiner Kollegin, Sabine Kurpgoweit FÄ für Allgemeinmedizin, den Trainees als Ansprechpartner und Coach sowohl für die Trainees als auch für die Praxen zur Verfügung.

Bei rund 800 Ärzt:innen in den letzten Jahren – gibt es einen Bereich, in dem sich die Mehrheit der Trainees besonders schwertut?

Ja, da gibt es tatsächlich etwas. Der Schlüsselfaktor ist die Sprache. Wir wissen, dass die Medizin grundsätzlich auch sprachlich auf einem sehr hohen Niveau ist. Demnach ist das sprachliche Umfeld sehr anspruchsvoll für die Trainees. Denken wir an Anamnesegespräche, den Kontakt zu Patient:innen und vieles mehr, ist im Arbeitsalltag von großer und verantwortungsvoller Kommunikation geprägt. Zwar besitzen alle Kandidat:innen nach erfolgreicher Fachsprachprüfung die fachsprachlichen Kompetenzen auf dem Level C1, dennoch ist es am Anfang für viele eine Herausforderung, diese auch im medizinischen Alltag anzuwenden. Im Hinblick darauf, dass Assistenzärzt:innen rund 50% des Tages mit Dokumentationen beschäftigt sind, wird deutlich, wie hoch auch der schriftsprachliche Anspruch an sie ist.

Dann gibt es Trainees, die etwas länger als andere benötigen, um mit allem warm zu werden. Diejenigen fühlen sich oft im deutschen Behördendschungel überfordert – BRIDGE möchte hier ansetzen und eine wertvolle Orientierung schaffen, was gerade für diese Kandidat:innen sehr wichtig ist. Migration geht mit einigen komplexen psychologischen Phänomenen einher. Insbesondere in der Anfangszeit, in der die Sprache und die kulturellen Konventionen vielleicht noch nicht so bekannt sind, lässt sich bei einigen zugewanderten Ärzt:innen beobachten, dass ihr Selbstwertgefühl stark angekratzt ist. Negative Kontakte zu Behörden und/oder Vertreter:innen der Ärzteschaft können diese Phänomene verstärken.

Ebenso spielen Unterschiede in der ärztlichen Führungs- und Leadershipkultur in den Heimatländern in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Zum Teil sind sie wesentlich hierarchischer geprägt als hierzulande, so dass wir immer wieder merken, wie schwer sie sich als Assistenzärzt:innen tun, ihre ärztlichen Vorgesetzten zu befragen. In der Regel müssen sie auch an die Zusammenarbeit mit dem deutschen Gesundheitssystem oder dem Pflegepersonal herangeführt werden, da diese Strukturen in deren Heimat gänzlich unbekannt sind. Hier müssen wir von Beginn an ansetzen, um etwaige Fehlerquellen zu meiden.

Ich denke, wir sollten die Zuwanderung gerade für den medizinischen Sektor als etwas Positives ansehen. Teilweise kommen die Trainees aus Kriegsgebieten, in denen sie bereits beruflich tätig waren. Sie sind im Durchschnitt extrem belastbar, sprechen weitere Sprachen und haben andere, wertvolle Skills.

Wie wurden Sie auf das Projekt BRIDGE aufmerksam und wie kam es dann zu Ihrer Tätigkeit innerhalb des Projekts?

Der Kontakt zu Melanie Philip bestand schon einige Jahre vor dem Projekt BRIDGE. Grundsätzlich unterhielten wir uns häufig über die Herausforderungen im allgemeinmedizinischen Bereich, so dass es zu einigen Austauschtreffen kam, als es konkreter um BRIDGE ging. Ich bin sozusagen von Beginn an dabei.

Das Projekt BRIDGE hat in diesem Jahr begonnen – können Sie schon sagen, wo genau die Schwerpunkte in Ihrem Coaching liegen werden, wenn es darum geht, die Trainees auf die Approbation vorzubereiten?

Sprachlich möchte ich alle zunächst auf einen Nenner bringen. Wie ich Eingangs sagte, ist Sprache einer der wichtigsten Bestandteile während unseres Programms. So führe ich zu Teilen Einzelgespräche mit den Trainees und sichere den individuellen Fortschritt. Die unterschiedlichen Lebenssituationen, in denen sich die Trainees befinden, wirken sich stark auf deren Motivation aus. So können wir natürlich nachvollziehen, dass es eine große Rolle spielt, ob jemand Kinder hat, alleine hier lebt oder schon gut integriert ist und einen gewissen Anschluss hat. Dadurch wird deutlich, dass ein Projekt wie BRIDGE kein standardisiertes Unterfangen mit austauschbaren Kandidat:innen ist. Gerade das macht die Arbeit einerseits anspruchsvoll, andererseits auch abwechslungsreich und spannend.

Das Coaching gliedert sich in mehrere Phasen. Später steht dann vor allem die Vorbereitung auf die Prüfung im Fokus, die sehr entscheidend ist. Wer diese nicht besteht, für den ist der Traum vom Mediziner:innen Dasein in Deutschland geplatzt. Um die Prüflinge ihrem Ziel so nahe wie möglich zu bringen, ist zum Beispiel unser Coaching für den Umgang mit Stress sehr gehaltvoll.

Wie sehr müssen Sie sich selbst jedes Mal auf ein solches Coaching vorbereiten, oder ist es nach knapp 1.000 Teilnehmer:innen schon eine feste Routine?

Natürlich gibt es Bereiche, mit denen ich mich im Vorfeld intensiver beschäftigen muss. Bei der gerade beschriebenen Prüfungsvorbereitung ist eine individuellere und genauere Planung notwendig als in anderen Bereichen, die standardisierter sind. Dennoch ist nach rund 13 Jahren vieles in Verbindung mit der Erfahrung zur Routine geworden.

Gibt es beispielsweise so etwas wie Fächer oder Unterrichtseinheiten (Themengebiete), die den Trainees am meisten Freude bereiten?

Das Fach Anatomie. Dabei vereinen wir spielerisch sowohl den Faktor Sprache als auch fachbezogene Elemente. Es werden kleine Dreier-Gruppen gebildet, bei denen die einzelnen Körperteile und Organe an einem dargestellten Dummy betitelt werden müssen. Da manche Trainees in ihren Heimatländern nicht mit der lateinischen Sprache während des Medizinstudiums konfrontiert werden, ist diese Übung für sie besonders anspruchsvoll. Das bedeutet, sie sind hierzulande doppelt gefordert: Einerseits müssen sie die deutsche Sprache beherrschen, andererseits noch die Fachbegriffe in Latein pauken.

Bei dieser Übung kann beides spielerisch umgesetzt werden und nimmt den Trainees viel Druck. Sie kommen aus sich herauskommen und können ihr Wissen auf eine ungezwungene Art prüfen.

Zudem steht auch das „Speed-Dating“ hoch im Kurs. Wir sprechen dabei von einem Rollenspiel, in dem eine Person Patient:in und eine andere Mediziner:in ist. Simuliert werden Patient:innengespräche. Innerhalb einer festgelegten Zeitspanne müssen beide Parteien ein zielführendes Gespräch aus dem medizinischen Alltag führen. Das soll nicht heißen, dass ihnen diese Übungen besonders leichtfallen, aber es macht das Lernen für sie ein wenig abwechslungsreicher und realer.

Gibt es demnach auch Gebiete, die den Trainees sehr leichtfallen?

Ja, das Empathische und der Umgang mit der Generation vor uns fällt den Trainees sehr leicht. Die Trainees kommen aus einem anderen Kulturkreis, in dem ältere Menschen mit sehr viel Respekt und Liebe behandelt werden. Sie sind es gewohnt, das Wort Familie viel inniger zu leben, als wir es vielleicht kennen. Das sind Skills, mit denen die Trainees richtig punkten können, die ihnen leicht fallen und die vor allem für uns – in Anbetracht des demographischen Wandels – eine große Bereicherung sind.

Ich stelle mir das Coaching sehr schwer vor, wenn man bedenkt, dass die Teilnehmer:innen ein bunt gemischtes Alter und unterschiedliche Wurzeln haben. Daraus natürlich auch völlig verschiedene Sprachkenntnisse – wie funktioniert das im Coaching-Alltag vor allem am Anfang, wenn alles neu ist?

Frühzeitig in die Praxis übergehen. Das ist das Wichtigste! Kontakte herstellen, ihnen das Gefühl geben, dass sie von Beginn an helfen und sich entwickeln können. Es sind Menschen, denen aus dem Praktischen heraus vieles leichter fällt. Wenn sie frühestmöglich mit realen Situationen konfrontiert werden, ohne sie nach der „Wurf-ins-Wasser-Mentalität“ zu überfordern, gelangen sie schnell auf einen gemeinsamen Nenner.

Wie können wir uns das Coaching vorstellen? Komplett digitalisiert oder wird überwiegend mit Papier und Stift gearbeitet?

Es ist eine Mischung aus beidem. Das Coaching an sich funktioniert digital sehr gut. Stimmungen und Gefühle übertragen sich relativ authentisch, während der Kontakt zu Praxisinhaber:innen nicht über diesen Weg ersetzt werden kann. Grundsätzlich ist eine hybride Arbeitsweise gut in den Alltag zu integrieren.

Was wünschen Sie sich für das Projekt BRIDGE in Zukunft und wo sehen Sie für dieses eine große Chance?

BRIDGE soll großflächig beweisen, was wir intern schon wissen. Dass Effekte erzielt werden, die uns allen zugutekommen. Es soll klar werden, dass BRIDGE als Leuchtturmprojekt fungiert und über Niedersachsen hinaus etabliert wird. Im Idealfall ziehen andere Fachbereiche aus der Medizin oder auch aus der Pflege nach und gliedern sich diesem Projektprinzip an. BRIDGE kann hier ein stabiles Instrument mit einer Vorreiterrolle sein.